Die Guide-Line in der Jazz-Improvisation

Eines der besonderen Konzepte der Jazz-Theorie verbirgt sich hinter dem Begriff der guide-lineoder guide-tone-line. Die guide-line ist eine Folge von guide-tones, die vorzugsweise in einem schrittweisen Tonhöhenverlauf das harmonische Extrakt eines Jazz-Standards repräsentieren. Die guide-tones , sind gleichzeitig auch die besonders ausdrucksstarken Töne.

Der Begriff guide-tone entspricht ungefähr dem „klassischen“ Leitton.

Das Studium der Leittonlinien aus Terz und Sept und anderen klanglichen Führungstönen schafft die gewünschte Sicherheit zur freien und gelösten Improvisation . Dabei kann ein mögliches „Jonglieren“ zwischen mehreren guide-tone-lines zu sehr reizvollen und komplexen Melodien führen.

Leittöne sind die „veränderungswilligen“ Töne innerhalb einer Akkordprogression. Dies trifft besonders auf die Töne der dritten und siebenten Skalenstufe zu . Die Terz bestimmt das Tongeschlecht, die Septime führt zur Terz des Folgeakkords.

Terz und Septime bilden gewissermaßen die Essenz eines Akkordes.

(Beide sind in den zwei ionischen Tetrachorden der Dur-Tonleiter die Töne, die zum jeweils nächsthöheren Halbton, dem. vierten Ton hin streben, eben hin-leiten. Durch sie erhält der ionische Tetrachord seine aufwärtsstrebende Tendenz.)

Leittöne, da sie ihren Auflösungston gewissermaßen vorankündigen, evozieren damit melodische Linien. Sie bewirken harmonisch-melodische Bewegung. Die guide-tones einer harmonischen Progression (Akkordfortschreitung) ergeben aneinandergereiht die guide-line, die den klanglich/harmonischen Verlauf anhand der ihn treibenden Ton-Kräfte zeigt.

Das Entstehen einer guide-line

In einem ersten Analyseschritt schreiben wir die Terzen und Septimen der jeweiligen Akkorde auf. Dabei bleiben gleiche Töne liegen , die wechselnden gehen den nächsten Weg.

Ein Ausschnitt aus „Autumn Leaves“

Guide-line, zweistimmig. „Autumn Leave“
Guide-line, zweistimmig. „Autumn Leave“

Aus einer Blues-Sequenz mit kadenzierendem Schluss –

lässt sich diese Linie aus Terzen und Septen herausziehen:

Terzen und Septen einer Bluessequenz
Terzen und Septen einer Bluessequenz

Im folgenden Beispiel, einem Ausschnitt aus „Left bank swing“ von Erroll Garner, wechseln die Klänge auch innerhalb eines Taktes. Hier lohnt die Notation der ebenfalls klangbestimmenden Akkordergänzungstöne, None, Undezime oder Tredezime.

Left-bank-swing, guide-line-Vorstufe aus Terzen und Septimen.
Left-bank-swing, guide-line-Vorstufe aus Terzen und Septimen.

Da wir mindestens zwei guide tones aus den im Jazz üblichen Septakkorden erhalten, sind immer mehrere lines eines Songs möglich.

Der nächste Schritt ist das Erschaffen einer einstimmigenguide line , die damit eine Vorfestlegung der später auszugestaltenen Melodiestimme darstellt. Bei wechselnden Akkorden sollen die Tonbewegungen schrittweise erfolgen. Innerhalb länger dauernder Akkorde oder Akkordwiederholungen kann gesprungen werden.

Guide-line aus Bluessequenz
Guide-line aus Bluessequenz

Das Studium der Leittonlinien aus Terz und Sept und anderen klanglichen Führungstönen schafft die gewünschte Sicherheit zur freien Improvisation . (Dabei kann ein mögliches „Jonglieren“ zwischen mehreren guide-tone-lines zu sehr reizvollen und komplexen Melodien führen.)

Insbesondere der Wechsel von der Dur- zur Moll-Terz wird deutlich. In der horizontalen Improvisation des Blues treten beide Terzen innerhalb eines Klangs auf., da die Melodie ihre Tonalität nicht verlässt. Während sie in der vertikalen Improvisation im melodischen Nacheinander auftreten.

Eine guide-lineüber „Left bank swing“ könnte so aussehen:

Left-bank-swing, eine mögliche guide-line
Left-bank-swing, eine mögliche guide-line

Die guide-tone-line als Grundbaustein einer Melodie

Nachdem eine guide-tone-Melodie entwickelt wurde, kann diese ausgearbeitet, musikalisch „dekoriert“ werden. Die guide-line verschafft dabei die Sicherheit, dass die entstehende Melodie sich immer auf die jeweiligen Akkordwechsel bezieht.

Da die Basslinie im Allgemeinen bereits Grundton und Quinte übernimmt, kann die Melodiestimme mehr die Terzen, Septimen und Akkorderweiterungstöne betonen.

Ein Beispiel einer vertikalen Improvisation, entlang der guide-linegeführt:

Von den beiden Arten der Blues-Improvisation, horizontale und vertikale, ist die vertikale Art die häufigere.. Die Skalen wechseln zusammen mit den Akkorden. Die Akkorde geben die jeweilige Tonalität vor. Die blue-noteshingegen bleiben immer unverändert dieselben, auf den Tonika-Grundtton bezogenen, kleine Terz, verminderte Quinte und kleine Septime.

Das Beispiel einer Improvisation über einen Ausschnitt aus „Left-bank-swing“

Improvisation über "Left bank swing"
Improvisation über „Left bank swing“

Das Prinzip der guide-line kann beinahe als Patentrezept für die Verwirklichung der dem Jazz zugrunde liegenden Idee aufgefasst werden: vom Klang zur melodischen Gestalt.


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